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Digitalität als Sprache? Warum sich Bibliotheken mit Coding beschäftigen
Früher waren es Hieroglyphen, dann Buchstaben, heute sind es digitale Codes: Jede Zeit und jede Kultur hat ihre kommunikativen Symbole. Bibliotheken sind und bleiben der Schlüssel zu ihrem Verständnis in der Zukunft.
Es ist definitiv mehr als nur ein Trend, der kommt und geht - jedenfalls geht er nicht in nächster Zeit, also etwa Ihrer Lebenszeit. Denn die Digitalität wird - entgegen den Unkenrufen vieler Medienkritiker - keinesfalls überschätzt und irgendwann abgeschafft sein. Und wenn doch - dann nur mit uns zusammen. Deshalb macht es Sinn, dass Bibliotheken die nachwachsenden Generationen mit darin fortbilden, Digitalität zu verstehen. Und nicht nur die Inhalte von nationalsprachlich verfassten Schrifttexten, die digital gespeichert werden.

(C) GMB_Eigenes Foto
Was ist der Unterschied?
In digitalen Texte werden Botschaften in einem Code chiffriert, der über den Energiefluss bestimmt wird. Nur wer diese Codierungen beherrscht, kann die Kommunikation an der Schnittstelle von Mensch und Maschine jetzt und in der Zukunft aktiv mitbestimmen.
Wir sind damit sozusagen in der "dritten Ebene" angekommen: Wir denken einen Text (erste Ebene) - dann notieren wir ihn auf Papier oder einer Tafel (zweite Ebene). Und wenn wir ihn digitalisieren, wird sein Bild in Einsen und Nullen "übersetzt". Das ist dann die dritte Ebene. Wir können ihn auch abfotografieren vom Papier und dann dieses Bild digitalisieren. Das sind dann wieder Einsen und Nullen - aber ihre Reihenfolge ist anders, weil für den Computer nicht der Inhalt, sondern zunächst eine Form codiert wird. Diese Form ist die erste Inhalteebene des Computers. Beim Bild übersetzt sie dann Farben und Formen in Einsen und Nullen. Beim Schrifttext Buchstaben.
Und was hat das mit Bibliotheken und Codingangeboten zu tun?
Bibliotheken sind Orte, in denen Geschichten gesammelt werden. Hier wird damit auch Kulturgeschichte geschrieben - oder inszeniert. Was in Bibliotheken nicht vorhanden ist, verliert an Bedeutung, wird kulturell vergessen. Damit waren Bibliotheken das Internet von früher. Die "Poetik" des Aristoteles soll, der Sage nach, mit der Bibliothek von Alexandria verbrannt sein. Und vieles andere mit ihr. Geistliche in den Klöstern waren lange für die Archivierung , die Sammlung, Auswahl, Bewertung und Vervielfältigung zuständig. Sie waren damit die exklusiven Definitionsmächte für das kulturelle Gedächtnis. Schreiben und Lesen entschieden über Akzeptanz, Überlieferung und Vergessen. Es waren mächtige Kulturtechniken.
Coding können heißt Maschinen kontrollieren können
Je mehr uns die Computer die Textspeicherung abnehmen, desto wichtiger wird es, ihre Entwicklungen zu begleiten und zu verstehen.
An der Macht der Überlieferung hat sich nichts geändert - nur können heute viel mehr Menschen auf solche Archivierungsssteme zugreifen und sie selbst bestücken. Wir sammeln schon heute unendlich viele Daten - und geben sie zur Nutzung frei. Damit wir nachverfolgen können, wer was wo und wie damit macht, müssen wir durch die dritte Ebene hindurch dringen und nicht nur die Codes, sondern die Verantwortlichen dahinter erkennen können und dabei sein, wenn sie der dritten noch eine vierte und fünfte Ebene hinzufügen. Je mehr Ebenen entstehen, desto schwerer wird es, das, was wir heute noch "Maschine" nennen, von uns als Menschen zu unterscheiden. Starke KIs - wie sie heute schon in Science Fiction entworfen sind - werden in vielen Prozessen, in denen sie Daten verarbeiten, schneller und sicherer agieren als wir Menschen. Aber sie können uns nicht sagen, was richtig ist und falsch.
Bibliothek und kulturelle Ethik
Weil Bibliotheken das immer gemacht haben, zu entscheiden, was gesammelt wird, sind sie ein guter Ort, auch heute hier die Kompetenzen zu bündeln. Das sind nicht mehr allein Lesen und Schreiben, sondern das Verständnis der Ebenen und Sprachen, auf und in denen in der Digitalität Kultur archiviert wird. Es sind technische Fähigkeiten und normative Abwägungen im gesellschaftlichen Diskurs. Diese umfassenden Funktionen hat Schule heute noch gar nicht im Blick - hier werden noch mit White-Lists gearbeitet. Dass ein Index nichts nützt, wenn der Inhalt einmal im Umlauf ist, wissen Bibliotheken aus Erfahrung. Deshalb sind sie für die nachwachsende Generation die Institution, die verstanden hat, womit allein Kultur im Netzwerk von Mensch und Maschine mitbestimmt werden kann.